Die Ruhe nach dem Sturm

Sonnenkraft. Sonnenschein und ein schattenfreies Balkongeländer sorgen bei Besitzern von privaten PV-Anlagen für geringere Stromkosten. | ©EET SolMate

Der Strommarkt ist in Aufruhr. Doch nachdem sich die Turbulenzen gelegt haben, wird die Energiewelt eine andere sein.

Ein Thema war Anfang September omnipräsent: Strom. Noch nie zuvor in den letzten hundert Jahren war der Strompreis so hoch, noch nie mussten sich Privatpersonen damit so intensiv auseinandersetzen. Wir waren daran gewöhnt, dass Strom jederzeit verfügbar und vor allem billig ist. Das Angebot richtete sich nach der Nachfrage. Das könnte sich nun ändern.

Krisen sind Innovationstreiber
1.000 Euro kostete zuletzt die Megawattstunde, inzwischen ging der Preis wieder um ein paar Hunderter zurück. Ob der Strompreis wieder auf sein langjähriges Mittel von rund 50 Euro pro MWh zurückgeht, kann niemand vorhersehen. „Das ist im Moment sehr spekulativ. Wir hoffen, dass sich die Situation normalisiert, aber Anzeichen gibt es dafür im Moment keine“, erklärt Stefan Zach von der EVN, dem niederösterreichischen Energieversorger. Was er bemerkt, ist eine Änderung des Nutzungsverhaltens: „Nach derzeitigem Stand gehen gerade alle davon aus, dass Energie noch teurer wird, und wollen sich darauf vorbereiten. Alle suchen nach Möglichkeiten, den Verbrauch zu senken oder selbst Strom und Energie zu produzieren. Das ist spürbar“, meint der Unternehmenssprecher der EVN. Hinzu kommt eine starke Nachfrage bei der Installation von PV-Anlagen. „Das wird einen Innovationsschub bringen und hoffentlich auch vernünftige Angebote für Leute, die ihre Energiezukunft selbst in die Hand nehmen möchten“, so Zach.

Sonne in die Steckdose
Jan Senn vom Grazer Start-up EET sieht diesen Umbruch bereits geschehen: „Ich glaube, dass wir alle endlich gemeinsam am Strang der Erneuerbaren ziehen.“ Das junge Grazer Unternehmen produziert seit 2018 Photovoltaikmodule für den Balkon, die man selbst einfach installieren kann und die bei entsprechender Ausführung auch notstromfähig sind. Stefan Zach sieht in der Photovoltaik „eine Möglichkeit, sich ein bisschen unabhängiger zu machen und seine Energiekosten zu senken und letztendlich auch einen Beitrag zum Klimaschutz.“ Eine private PV-Anlage könnte die Stromkosten eines Haushalts sofort um einige Prozent reduzieren. Das Balkonmodul „SolMate“ von EET könnte bis zu 25 % des täglichen Strombedarfs decken. Entsprechend stark sei die Nachfrage gewachsen und auch das mediale Interesse sei derzeit so hoch wie noch nie.

Mehr als Prepping
Die Zukunft sieht Senn in einer de-zentralen Energieversorgung, also einer Stromversorgung der vielen. „Bald wird jeder seinen eigenen kleinen, nachhaltigen Stromerzeugungsapparat haben“, meint er. Mit „SolMate“ will das Start-up leistbare und einfach zu installierende Solarkraftwerke für daheim anbieten. Die günstigste Variante ohne Speicher beginnt bei unter € 500,–, autarke und notstromfähige Systeme mit Speicher kommen je nach Ausführung auf € 2.800,– bis € 3.800,–. Derzeit sieht es auch bei der Auslieferung gut aus: „Es gab in der jüngeren Vergangenheit Lieferengpässe aufgrund der Lockdowns in Fernost. Wir verbauen in unseren Produkten alles, was knapp ist: Aluminium, Mikrochips, Wechselrichter. Da waren zuletzt schon viele Krisen dabei, aber für die nahe Zukunft schaut es gut aus.

Paradigmenwechsel bei Privaten
Am Energiemarkt reagiert Angebot auf Nachfrage. Benötigen die Menschen Strom, wird eben welcher produziert. Das geschah zum größten Teil in thermischen Kraftwerken, in Österreich auch zu einem großen Teil mit Wasserkraft. Auf thermische Energiegewinnung aus Gas, Öl oder Kohle wird die Energiewirtschaft aus Gründen der Netzstabilität zwar nicht so rasch verzichten können, das Bewusstsein für Energieverfügbarkeit könnte sich in der derzeitigen Krisenphase aber erhöhen. Mit zunehmender Nutzung der Solarenergie werden Menschen rasch lernen, Geräte dann zu nutzen, wenn Strom vom Balkon gerade verfügbar ist. Jan Senn ist sich sicher, dass dieses Umdenken ganz organisch passieren wird: „Sobald ein PV-Modul am Balkon hängt, beginnen die Leute ganz automatisch, ihre Gewohnheiten zu ändern, und schalten den Geschirrspüler ein, wenn die Sonne scheint und das Modul Strom liefert.“ 

Sparen mit der Sonne
Solange Strom so günstig war, dass sich Installationsaufwand und die -gesparten Kosten kaum lohnten, machten sich nur Idealisten die Mühe. Mit einem PV-Modul um ein paar hundert Euro, das man einfach anstecken kann und gleich merkbar Geld spart, schaut die Welt ein wenig anders aus. „Die letzten Jahre rutschten wir als Gesellschaft von einer Krisensituation in die nächste. Der einzige erfreuliche Aspekt der Energiekrise ist der Aufschwung und Rückenwind für erneuerbare Energien“, findet Jan Senn. Auch Stefan Zach von der EVN versucht, positive Schlüsse aus der Krise zu ziehen: „Das ist wohl einer der ganz wenigen positiven Aspekte dieser fundamentalen Krise: einen bewussteren Umgang mit Energie zu lernen.“ Die steigenden Energiepreise sowie der Wunsch nach einer Energieunabhängigkeit werden langfristige Veränderungen nach sich ziehen – im Idealfall hin zu einer nachhaltigeren Energielandschaft.

Heim-Kraftwerk. PV-Module können einen spürbaren Anteil des Strombedarfs liefern. ©EET SolMate

Text: Helena Zottmann

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