Fulminant facettenreich

©Michael De Boer

Franziska Weisz kann herzhaft lachen und herzzerreißend leiden. Außerdem kann sie ganz schön taff sein – nicht nur vor der Kamera, sondern auch, wenn es darum geht, sich für die Rettung der Erde und gegen Ungerechtigkeiten stark zu machen.

Die Szene war in etwa auf Seite zehn des Drehbuchs beschrieben, da wusste sie es: Sie will diese Rolle. Die Konsequenz eines Menschen, mitten in der Waschstraße aus dem Auto zu steigen, weil man das Gegenüber nicht mehr ertragen will, und in Kauf zu nehmen, dass man danach klatschnass als Staatsanwältin ins Büro muss, faszinierte sie. 

Franziska Weisz war 19 Jahre jung, als sie für und in Ulrich Seidls „Hundstage“ entdeckt wurde. In einer der nervenaufreibendsten Szenen wirft sie darin der gewalttätige Freund aus dem Auto. Als sie nun, 20 Jahre später, selbst und stark aus dem Wagen in der Waschstraße steigt, fesselt die Miniserie „Tage, die es nicht gab“ laut ORF bereits zeitnah 1,74 Millionen Zuseherinnen und Zuseher. Tendenz steigend, die Produktion wird auf Flimmit gestreamt. Franziska Weisz kann viel: leiden und taff sein, Witze reißen und die warmherzige Frau Martin im Familien-Kinohit „Bibi & Tina“ geben. Ihre Neugier für verschiedene Realitäten lebt sie nicht allein vor der Kamera aus. Dass sie trotz eines vielversprechenden Starts in der Filmbranche Entwicklungs- und Umweltpolitik studierte, beeinflusst ihr Leben und Tun.

better life: Sie verkörpern in „Tage, die es nicht gab“ eine der stärksten Hauptrollen. Wie kamen Sie dazu?

Franziska Weisz: Die Art und Weise, wie man Rollen kriegt, ist total unterschiedlich; oft geht man zu Castings, aber für diese Produktion bekam ich eine E-Mail, ich soll bitte rasch die ersten vier Bücher durchlesen, ob mich das interessiert. Ich hatte gerade viel Arbeit, kam kaum dazu, aber ich fand es sofort super – schon ab der Waschstraße (lacht). Auch weil es mein Ansinnen ist, Sachen zu machen, die ich noch nie gemacht habe und mich privat auch nicht trauen würde. Ab dieser Szene war mir klar: Das wird mutig. Tatsächlich haben wir alle anhand der ersten vier Bücher zugesagt, die anderen wurden erst fertig geschrieben, während wir schon gedreht haben. Wir wussten also alle nicht, wie es ausgeht, wer die Täterin oder der Täter ist.

Das ist längst nicht alltäglich: Im Mittelpunkt stehen vier vielschichtige Frauencharaktere. 

Das ist auch ein Grund, warum mich dieses Projekt so gereizt hat. Wir sind alle mit Jungsgruppen aufgewachsen: von klein auf bis ins Erwachsenenalter, von den Schlümpfen über den schönen Film „Stand by Me“ bis hin zu „Die glorreichen Sieben“. Für Männer gab es immer einen, mit dem man sich identifizieren konnte: den Schlauen, den Sportlichen, den Dicken, den Lustigen oder den Pickeligen. Aber es gab nur eine Bonusfrau: immer weiblich und hübsch – und sie war die einzige
Identifikationsfigur.

Als ich bei einem Schuster in Wien mal ganz alte kleine Schuhe in der Vitrine entdeckt habe, unterhielten wir uns. Ich hielt sie für Frauenmodelle, aber es waren Männerschuhe. Der Schuster sagte mir, dass es bis heute das totale Männerding ist, Maßschuhe zu tragen. Genauso wie Maßanzüge – wenn man es sich leisten kann – während Frauen von der Stange einkaufen. Der Mann sagt also: Das ist mein Körper. Ein Kleidungsstück muss so beschaffen sein, dass es zu mir und um mich rum passt. Die Frau sagt: Wenn ich noch drei Kilo abnehme, passe ich wieder in mein schönes Kleid. So bekommen wir das auch serviert: Die Frau muss in eine Form passen, in diese eine Schlumpfine, die Männer können sagen: Heute bin ich so, morgen so und eigentlich bin ich ich selber.

Mit Wotan Wilke Möhring sind Sie gemeinsam Falke und Grosz bei Tatort Hamburg – und, so liest man es immer wieder – eines der beliebtesten Krimi-Duos. Woran liegt das? 

Wir sind ein gutes Team und haben spannende Fälle. Bei uns geht es viel um organisiertes Verbrechen; das bedeutet auch, dass wir immer nur einen kleinen Teil gerade rücken können, aber nicht die organisierte Kriminalität prinzipiell. Das ist ein gutes Abbild des echten Lebens. Mit den Sonntagabend-Krimis ist es ein bisschen so, wie mit den Nachrichten davor: Man schaut sich die Nachrichten an, gerade jetzt haben wir nicht viel zu lachen, aber danach kommen ein bisschen schönes Wetter und die Lottozahlen und dann ist wieder alles „gut“. Bei Krimis wird man zuerst auch mit einem Mord konfrontiert, dann ist es 90 Minuten lang spannend, aber man kann sich darauf verlassen, dass bis zum Schluss alles aufgeklärt wird und man beruhigt schlafen gehen kann, die Welt ist ja doch gut. Bei unserem Tatort ist es eben nicht ganz so, umso mehr freut es mich, wenn wir zu den Beliebtesten gehören, das wusste ich gar nicht! (lacht)

Sie haben in England studiert und mit einem Master’s Degree in Development and Environment abgeschlossen. Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf unsere Gegenwart? 

Ich freue mich darüber, was vor allem Greta Thunberg ins Rollen brachte, dass der Umweltschutz die junge Generation erreicht, dass es komplett normal ist, in einer Schulmensa vegetarisch zu essen. Bei älteren Menschen, auch bei gebildeten, beißt man bei gewissen Themen auf Granit. Aber es stimmt: Du kannst mit deiner Ernährung die Welt verändern.

Wir hatten vor Kurzem Gäste mit sehr, sehr vielen Kindern. Sie waren alle unter zehn, ich habe Scherben befürchtet, also haben wir noch schnell von der Tankstelle Plastikbecher geholt. Da sagten die Kinder: „Mama, die haben Plastik!“ – Ich habe mich geschämt, aber viel mehr fand ich es großartig, dass die Kinder darauf aufmerksam machen.

Die Situation, wie wir sie jetzt erleben, dass die Preise in die Höhe rasen, müssen wir als Chance sehen, um Energie zu sparen. Man spart schon bis zu 40 Prozent Energie, wenn man seine Wäsche mit 30, anstatt 40 Grad wäscht. 

Müll trennen ist gut und schön, aber da ist der Hebel zu spät angesetzt: Wir müssen ihn vermeiden. Eine Möglichkeit ist ein plastikfreies Badezimmer, ich verwende beispielsweise nur Haarseifen. Es geht darum, Gewohnheiten umzustellen, allen voran unseren Überkonsum. Richtig viel CO2 stoßen die riesigen Schiffe aus, die aus Asien Produkte bringen, die auch bei uns erzeugt werden können, aber wir wollen sie billig vom anderen Ende der Welt. Dann muss man sich auch fragen, woher das Futter kommt, das das österreichische Rind frisst  … Ich kann hier ewig fortsetzen, das ist für mich ein sehr emotionales Thema.

Mindestens so glühend setzen Sie sich für Frauenrechte ein; Sie sind schon vor Jahren bei einem „Women’s March“ in Los Angeles mitmarschiert. Letzten Sommer kickte der Supreme Court das Recht auf Abtreibung, mehrere US-Bundesstaaten verboten sie daraufhin. Was sagen Sie dazu?

Es regt mich wahnsinnig auf; es wird Menschenleben kosten. In der Nachkriegszeit sind in Österreich und Deutschland Tausende Frauen pro Jahr bei illegalen Abtreibungen gestorben. Es war eine große Errungenschaft, legale Möglichkeiten anzubieten. Frauen haben Gründe, wenn sie sich dafür entscheiden. Sei es, weil sie jung, allein, arm oder einfach nicht bereit sind; es ist unglaublich, Frauen Leichtfertigkeit oder Egoismus zu unterstellen. „My body, my choice“ – der Slogan trifft es auf den Punkt.

Ihre Mama war Alleinerziehende von drei Kindern, was hat sie Ihnen mitgegeben und wie blicken Sie auf Ihre Kindheit in Breitenfurt zurück?

Sehr positiv. Ich war ein Nesthäkchen mit zwei älteren Geschwistern und ständig draußen im Garten, in der Natur; mein Onkel hatte tollerweise Pferde. Meine Mutter gab uns Wurzeln und das Gefühl, dass ich jederzeit zurückkommen kann. Genau deswegen habe ich mich getraut, in alle Richtungen loszuschwirren. Wenn man eine Basis hat, gibt das viel Freiheit; ich war echt früh mutig, habe schon in vielen Städten gelebt. Selbst heute mit über 40 weiß ich, dass ich jederzeit in mein altes Kinderzimmer könnte, wenn etwas schiefläuft.

Woran arbeiten Sie gerade und wo erlebt man Sie demnächst?

Der nächste Tatort kommt 2023, „Bibi & Tina“ lief zuletzt im Kino. Für den Dreh von „Der Schwarm“ von Frank Schätzing bin ich im Sommer parallel zu „Tage, die es nicht gab“ nach Rom gereist. Wir haben auf Englisch gedreht – jetzt durfte ich mich auf Deutsch synchronisieren; die Serie kommt 2023 ins Fernsehen. Ich spiele auch in einem tollen Film von Andreas Prochaska, in „Hauke Haiens Tod“, Grundlage war Theodor Storms berühmte Novelle „Der Schimmelreiter“ (in der Endfertigung, Anm.), und es kommt ein weiterer großer Film mit historischem Inhalt, in dem ich die krasseste Frauenrolle überhaupt spiele, aber darüber darf ich noch nicht reden.

Verena Altenberger sagte kürzlich, dass man mit Filmen die Welt sogar verbessern kann. Wie sehen Sie das und wie weit verändern Rollen Sie selbst?

Es wäre in vielen Situationen sehr heilsam, könnten wir alle einmal einen Tag das Leben eines anderen leben. Sei es das eines Reisbauern oder einer Spitzenpolitikerin. Es ist leicht zu sagen, alle anderen haben es so einfach, nur ich habe es so schwer. Jede Rolle verändert mich ein Stück weit, weil ich mich bei der Recherche stark damit beschäftige und intensiv in diese Leben eintauche. Unser aller Hoffnung ist es, dass Filme zu gegenseitigem Verständnis beitragen.

Mit welchen Gedanken starten Sie in das neue Jahr, wie soll 2023 werden?

Friedlich. Das ist der Wunsch.

Franziska Weisz

… wuchs in Breitenfurt, Niederösterreich, als Jüngste von drei Kindern auf. Bei einem Casting für einen anderen Film ließ sie der heutige Schauspieler und Regisseur Markus Schleinzer improvisieren – so bekam sie mit 19 ihre erste Rolle in Ulrich Seidls „Hundstage“. Sie zog danach trotzdem ihr Wunschstudium in England durch und schloss mit einem Master’s Degree in Development and Environment ab.
Sie spielte Hauptrollen in preisgekrönten Filmen wie „Kreuzweg“ (Regie: Dietrich Brüggemann), „Hannas schlafende Hunde“ (Andreas Gruber) oder „Der Taucher“ (Günter Schwaiger) sowie in TV-Produktionen und -Serien wie „Janus“, „Tatort“, „Landkrimi: Kreuz des Südens“, „Balanceakt“ oder „Tage, die es nicht gab“. 

Franziska Weisz singt in der Rockband „Jawoi!“ und tritt für gewöhnlich einmal im Jahr im Dezember im Wiener WUK auf. Sie ist seit 2015 mit Regisseur Felix Herzogenrath (Bild) verheiratet und lebt in Berlin.

1. und 2. Tage, die es nicht gab.
1,74 Mio. Menschen sahen laut ORF die packende Serie mit Franziska Weisz, Franziska Hackl, Jasmin Gerat und Diana Amft. Das Drehbuch schrieb Mischa Zickler, Anna-Katharina Maier und Mirjam Unger führten Regie. Aktuell zum Streamen via Flimmit.

3. Tatort.
Gehören zu den erfolgreichsten Krimi-Duos: Franziska Weisz und Wotan Wilke Möhring.

4. Bibi & Tina.
Der Familien-Kinohit vom Sommer – eine Amazon-Produktion – erschien kürzlich auf DVD.

5. Der Schwarm.
Anfang 2023 ist Franziska Weisz u. a. in der aufwändigen Thriller-Serie nach Frank Schätzings Bestseller im ORF zu sehen. Für die Regie zeichneten Barbara Eder, Philipp Stölzl und Luke Watson verantwortlich. 

Interview: Viktória Kery-Erdélyi 
Fotos: Michael De Boer, ORF / MR Film / Thomas Ramstorfer / Landsiedl, Fabio Eppensteiner, NDR / Christine Schröder, Amazon / Andreas Schlieter, ORF / ZDF Julian R. Wagner, Leif Heanzo

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