Friedrich und seine Facetten

Wiener Grantscherm, Schlitzohr, Prolo, Gauner – Georg Friedrich kennt man so aus zahlreichen österreichischen Filmen. In seinem aktuellsten, „Große Freiheit“, zeigt der Schauspieler eine überraschend fragile Seite.

Man hat uns gewarnt: Georg Friedrich lässt sich Zeit zum Beantworten von Interviewfragen – und Fotografieren ist „auch nicht so sein Ding“, erzählt uns seine Agentur in Berlin. Noch dazu drehe er gerade auf Malta und es könne etwas dauern. Schade, nicht einmal seine typisch raunzige -Stimme war uns vergönnt. Schwer zu fassen, dieser Herr Friedrich, genauso wie seine unzähligen Rollen, die in jüngster Zeit immer facettenreicher werden und einen neuen, ruhigeren Typ zeigen. 

Flinserl und große Gosch’n 
Der österreichische Mime, Jahrgang 1966, gilt als echtes Original und unverwechselbarer Charakter. Nervös, jähzornig, leicht reizbar. Die -Urwiener Type, die er immer wieder in heimischen Produktionen authentisch verkörpert, scheint ihm auf den Leib geschrieben: Ob als langzottiger Puffbesitzer, aggressiver Praterprolo oder zwielichtiger Strizzi – so kennt man ihn, so liebt man ihn. 

Phänomen Friedrich
Doch da ist noch ein anderer Georg Friedrich. Das Flinserl hat er nie abgelegt, aber es scheint, als wäre er dem Rotzbub-Image entwachsen und wir dürfen nun in tiefere Schichten seiner Persönlichkeit vordringen. Da sind auch diese anderen Rollen, die wir Film um Film mit ihm mitverfolgen -können. Seine Figuren haben stets Tiefgang, sein Spiel begeistert durch reduzierte Gestik und vielsagende Blicke. Seine Mimik ist nicht immer eindeutig – unter der Oberfläche brodelt es, er könnte jederzeit explodieren –, sein Blick ist stechend und intensiv. Und manchmal kommen dann wieder diese schelmischen Augen eines Lausbuben hervor. Friedrich changiert so mühelos zwischen liebenswertem Weanabazi, angsteinflößendem Kriminellen, verschrobenem Privat-detektiv, bedrohlichem Heiler, verzweifelter -Vaterfigur, scheiterndem Bergsteiger oder eben liebesbedürftigem Knastkumpan – wie in seinem neuen Film.

B3ester Schauspieler
Georg Friedrich ist für mich der beste österreichische Schauspieler. Er ist ein Spezialist für diese ganz besonderen Momente, die gerade passieren und auch nicht wiederholbar sind“, so -Josef Hader über seinen -Schauspielkollegen. Dabei spielt er auf eine Szene im Film „Wilde Maus“ an, wo beide vor der Kamera standen. Georg Friedrich zieht sich jähzornig die Jacke als Liliputbahn-Lokführer aus, es gelingt ihm aber nicht und er verheddert sich. Aus der Not macht Friedrich eine ganz eigene, wunderbare Szene, die besser als die im Drehbuch ist. 

Der Weg in die Freiheit
Eigentlich muss Georg Friedrich kein Image ablegen. Denn diesem Typen traut man einfach alles zu, auch im -positiven Sinn. Selbst er ist immer -wieder erstaunt: „Ich lass mich auch gern von mir selbst überraschen. Wenn das passiert, das ist überhaupt das Schönste!“ Auch sein Publikum weiß er zu überraschen. Seine langsam -steigende Karriere, die er in der Schauspielschule Krauss in Wien begonnen hat, verfolgt er zielstrebig weiter. Seiner Arbeit am Theater (Berliner Volks-bühne, Sommerfestspiele Perchtoldsdorf) geht er jedes Mal mit großer Begeisterung nach. Mittlerweile ist er aber voll in der Filmwelt angekommen und hat dort viel erreicht. Seit dem Silbernen Bären, den er 2017 für seine Rolle als Vater, der um die Beziehung zu seinem Buben kämpft, in „Helle Nächte“ erhielt, überschlagen sich die Angebote. „Da muss ich auch manchmal auf mich aufpassen“, sagt er mit aller Zeit der Welt. Er habe zuletzt einige Projekte abgesagt. „Weil, wenn man weiterhin eine gewisse Qualität liefern will, dann kann man nicht von einem Film in den anderen rutschen und 150 Prozent gute Arbeit liefern.“ Gut so, denn diese gute Arbeit macht sich belohnt. Sein aktueller Film „Große Freiheit“ wird bei der nächsten Oscar-verleihung als Österreich-Beitrag ins Rennen gehen. 

Homosexuelle Liebe im Bau
Als Viktor mimt Georg Friedrich in dem preisgekrönten Gefängnisdrama trotz gewohnt harter Schale einen zutiefst fürsorglichen und verletzlichen Kriminellen. Über die Jahre im Knast nähert er sich Hans (Franz Rogowski) an, der wegen Homosexualität („widernatür-licher Neigung“, wie es hieß) einsitzt. -Zwischen den beiden entspinnt sich eine Freundschaft, eine Liebe, ein homo-sexuelles Abenteuer, eine Fürsorge und Zärtlichkeit, die vor dem Hintergrund des tristen und beklemmenden Gefängnisalltags umso mehr wiegt. Der Film erzählt aber nicht nur die Beziehung zwischen den beiden, sondern thematisiert auch den berüchtigten Paragraphen 175, nach welchem in der Bundesrepublik nach dem National-sozialismus Homosexualität als Straftat eingestuft wurde. Der Paragraph macht Hans’ Hoffnungen auf ein -Leben in Freiheit zunichte. Immer wieder muss er in den Knast und wird seiner schwulen Liebe beraubt. Immer wieder trifft er auf Viktor, der komplett unterschiedlich ist. Doch die stille Sehnsucht nach Nähe lässt die beiden im rauen Gefängnis zueinanderfinden und eine zunächst absurde Situation wird dank dem grandiosen Spiel der Protagonisten zur -berührenden Realität. Sehenswert!

Georg Friedrich

Geb. 31. 10. 1966 in Wien 
Filmografie: Böse -Zellen,
Die Klavierspielerin, Hundstage, Hurensohn, Nacktschnecken, Spiele Leben, Knallhart, Contact High, Nordwand, Wilde Maus, Import Export, Aloys, Atmen, Helle Nächte, Narziss und Goldmund und viele mehr.

Auf der Berlinale 2004 wurde Friedrich als European Shooting Star vorgestellt. 2017 erhielt er den -Silbernen Bären für seine Rolle als Vater in „Helle Nächte“. Beim Sarajevo Film Festival 2021 wurde er als bester männlicher Darsteller für den neuen Film „Große -Freiheit“ ausgezeichnet. Georg Friedrich liebt Motor- und Skisport, spielt Tennis und Billard und boxt.

Große Freiheit.
Spielfilm von Sebastian Meise mit Georg Friedrich und Franz Rogowski. Kinostart in Österreich: 19. 11. 2021.
Auszeichnungen: Wiener Filmpreis, Internationale Filmfestspiele von Cannes (Jurypreis „Un certain regard“), Sarajevo Film Festival. Österreich-Kandidat für den besten internationalen Film bei der Oscarverleihung 2022. 

Text: Heidrun Henke
Fotos: Klaus Pichler: klauspichler.net

Neueste Artikel