Wiener Handwerkskunst genießt weltweit höchstes Ansehen. Schuhmacher Markus Scheer führt seinen Familienbetrieb in 7. Generation selbstbewusst in die Zukunft.
Das Parkett knarzt unter bedächtigen Schritten, Türen quietschen. Ein sanftes Hämmern und der reiche Duft von Leder erfüllen die hohen Altbauräume im Herzen Wiens. Ein Schuhmacher aus dem 19. Jahrhundert würde sich hier sofort zurecht-finden: „Neue Werkzeuge“, sagt Markus Scheer, „sind unsexy. Doch wenn ich mit einem Hammer arbeite, der schon vor 200 Jahren verwendet wurde, bin ich beseelt von der Routine dieses Werkzeugs.“
Markus Scheer, 49, führt den Familienbetrieb in der Bräunerstraße in siebenter Generation. Die Familientradition lässt sich bis 1816 zurückverfolgen: Damals hatte Johann Scheer beschlossen, aus einer Weinbauern-Dynastie auszubrechen und das Schuhmacher-Handwerk auf der Walz zu erlernen. „Er war der Kraftmensch, der unsere Geschichte begonnen hat.“
1866 sind Johann Scheer und sein Sohn Matthias in die Wiener Innenstadt über-siedelt – mit dem geschäftstüchtigen Hintergedanken, in der Nähe der Hofburg präsent zu sein. In dritter Generation erlebte schließlich Rudolf Scheer, dessen Name noch heute das Eingangsportal ziert, die gesellschaftliche Hochblüte: Als k. u. k. Hof-Schuhmacher durfte er von Kaiser Franz Joseph und seiner Sisi abwärts den gesamten Hochadel mit edlem Schuhwerk beglücken; auch andere Herrscher wie Deutschlands Kaiser Wilhelm vertrauten auf Wiener Handwerksqualität.
Pioniere aus Tradition
„Als Handwerker“, weiß Markus Scheer, „bist du immer Pionier. Du musst deine Fähigkeiten stets erneuern. Mein Großvater Carl Ferdinand, bei dem ich noch lernen durfte, war ein begnadeter Designer. Und er hatte den Mut, die Maßschuhschneiderei nach dem Zweiten Weltkrieg um die Orthopädie zu erweitern.“ Was man dereinst wohl über ihn sagen wird? „Vielleicht, dass es dieser Typ geschafft hat, das alte Wissen auf dem Weg in eine neue, digitale Welt nicht verloren zu haben.“ Und dass er den Betrieb für Interessierte öffnet: Die Scheer-Welt bietet heute Werkstattführungen an und verwandelt den historischen Keller in eine Location für exklusive Abendessen: „Unsere Gesellschaft läuft Gefahr, traditionelles Wissen zu verlieren. Wir wollen zeigen, dass Handarbeit ein Teil des Menschseins ist.“
Rund 70 Arbeitsstunden stecken in einem neuen Paar Maßschuhe, für ein Folgepaar von den gleichen Leisten sind es immerhin noch 40 – aufgeteilt auf mehrere Monate, in denen das Leder immer wieder zur Ruhe kommen muss. „Ein guter Schuh erdet und bewegt uns. Im Optimalfall verbessert er das Leben seines Trägers.“ Obwohl seine Kreationen für vierstellige Summen den Besitzer wechseln, reagiert Scheer auf ein spezielles Wort -allergisch: „Unsere Schuhe kosten viel Geld. Aber es kränkt mich, wenn jemand sagt, sie wären teuer! Qualität plus Zeit ergibt eine gewisse Summe. Unsere Arbeitsstunde kostet weit weniger als die eines Installateurs – obwohl wir Künstler sind, die auf weltweit höchstem Niveau arbeiten.“ 300 Paar Schuhe können Markus Scheer und seine 16 Mitarbeiter pro Jahr in traditioneller Handarbeit fertigen. Kunden kommen zum Maßnehmen persönlich in die Werkstatt, die letzte Ausnahme für Hausbesuche war Kaiser Franz Joseph. Ein Ausbau der Kapazitäten ist nicht sinnvoll: „Individualisierung endet dort, wo das Meisterliche nicht mehr in jeden Arbeitsschritt einfließt. Damit wir auf diesem Niveau arbeiten können, muss ich bei jedem einzelnen Schuh involviert sein.“
Kein Ausverkauf
Der Name Scheer wird über die Grenzen Österreichs hinaus geschätzt – und weckt Begehrlichkeiten. „Wir sind lupenrein unabhängig und bekommen immer wieder aberwitzige Angebote“, erzählt Markus Scheer. „Ich glaube aber, dass mir meine Vorfahren im Traum erscheinen und mich zu Recht fragen würden, ob ich einen Vogel hab. Sie haben nicht zwei Weltkriege überstanden, nur damit ich jetzt unseren Namen und unser Know-how für ein paar Millionen an irgendeinen Konzern verkaufe …“
Dafür, dass die Familientradition weiterlebt, hat Scheer aber bereits vorgesorgt: Seine fünf Kinder sind zwischen vier und 20 Jahre alt. „Ich versuche ihnen ein wichtiges Ideal mit auf den Weg zu geben: Ich muss nicht arbeiten. Ich darf.“ Das ist wahrer Luxus.
WIENS TOP SCHUHMACHER
Scheer
Bräunerstraße 4, 1010 Wien
scheer.at
Ludwig Reiter
Mölkersteig 1
Führichgasse 6, 1010 Wien
ludwig-reiter.com
Petkov
Mahlerstraße 5, 1010 Wien
petkov.at
Materna
Mahlerstraße 5, 1010 Wien
materna-schuhe.at
Kudweis
Wipplingerstraße 15, 1010 Wien
kudweis.at



Text: Hannes Kropik
Fotos: Stefan Joham