It’s good to be good

©Harald Eisenberger

Die Armen werden immer ärmer, die Reichen häufen ihr Vermögen und teilen das oftmals mit Bedürftigen. Der Trend zum (öffentlichen) Gönnertum hat aus philosophischer Sicht ein Für und Wider. Ein Gespräch mit der Wiener Philosophin Dr. Lisz Hirn.

„Es gibt nichts Gutes – außer man tut es“, predigte schon Erich Kästner 1950 in seinem Epigramm „Moral“ – und „Gutes“ zu tun liegt offensichtlich in Zeiten der Krise noch mehr im Trend als davor. Denn laut Fundraising Verband Austria, dem Dachverband der Spendenorganisationen hierzulande, erreichten sowohl Spendenbeteiligung als auch Durchschnittsspenden im vergangenen Jahr Höchstwerte – trotz oder gerade aufgrund der Pandemie. Mit einem Spenden-Plus von 40 Millionen Euro zum Vorjahr wurden die Erwartungen deutlich übertroffen, 2020 hat sich mit ca. 750 Millionen Euro ein neuer Spendenrekord eingestellt. „In der Krise hat die österreichische Bevölkerung nicht nur große Disziplin bewiesen, sondern auch neue Maßstäbe der Solidarität gesetzt. Ein stark gestiegenes Freiwilligenengagement, wie zum Beispiel in der Nachbarschaftshilfe, ist die eine Seite dieser Entwicklung, eine wachsende Spendenbeteiligung ist die andere“, bemerkt Günther Lutschinger, Geschäftsführer des Fundraising Verband Austria. Und auch weltweit gesehen geben nicht nur die Superreichen immer mehr von ihrem Vermögen ab, sondern ebenso der Normalverdiener spendet statistisch gesehen mehr Geld als noch vor der Krise.

#GIVINGTUESDAY
Dass soziales Engagement viele Facetten haben kann, zeigt die Bewegung #GivingTuesday. 2012 wurde der weltweite „Tag des Gebens“ in den USA als Antwort zum „Black Friday“ und „Cyber Monday“ ins Leben gerufen. Heuer žfindet der #GivingTuesday am 30. November statt, bei dem auch in Österreich seit Jahren viele Non-Prožfit-Organisationen und andere Unternehmen und Privatpersonen teilnehmen. Alleine im vergangenen Jahr haben sich über 120 Unternehmen und Organisationen daran beteiligt und 300.000 Euro Spenden gesammelt. Allen voran unterstützt Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen das globale Projekt: „Ob beim Schutz der Umwelt, bei der Hilfe Notleidender oder bei der Pflege kranker und bedürftiger Menschen, gemeinnützige Organisationen leisten einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Gesellschaft. Durch das žfinanzielle und freiwillige Engagement der Österreicher können sie diesen wichtigen Aufgaben langfristig nachkommen und damit unser aller Leben ungemein bereichern. Jeden Tag und ganz besonders am #GivingTuesday, dem weltweiten Tag des Gebens.“ In diesem Jahr ist es im Übrigen noch
möglich, eine eigene Aktion zu starten und Teil der Bewegung zu werden. „Geben macht glücklich, ganz egal, was du gibst: deine Zeit, dein Geld oder einfach nur ein Lächeln“, motivieren die Betreiber der heimischen Plattform givingtuesday.at, die auch vom Fundraising Verband Austria betrieben wird.

PROMINENTE WOHLTÄTER
Die wohl größte Einzelspende unter den bekannten Milliardären haben Amazon-Gründer Jeff Bezos und seine Ex-Frau MacKenzie Scott im vergangenen Corona-Jahr getätigt. Bezos steckte zehn Milliarden US-Dollar in seinen Klima-Schutz-Fond „Bezos Earth Fund“; seine Ex-Frau spendete sechs Milliarden US-Dollar an mehrere gemeinnützige Organisationen. Und auch einige Schauspieler wie Blake Lively und Ryan Reynolds, Angelina Jolie, Arnold Schwarzenegger oder Leonardo DiCaprio sind für ihre soziale Ader ebenso bekannt wie ihre Sänger-Kollegen Rihanna, Justin Timberlake und Justin Bieber. Im Übrigen: Microsoft-Gründer Bill Gates hat schon einen Großteil seines Reichtums im Zuge der Initiative „The Giving Pledge“ abgegeben und angekündigt, bis zu seinem Lebensende 95 Prozent seines Vermögens zu spenden. Die Initiative soll Wohlhabende motivieren, ihr Geld für wohltätige Zwecke zu nutzen und ist laut Website „ein Versuch, die reichsten Personen und Familien in Amerika und der Welt einzuladen, um den Großteil ihres Reichtums der Philanthropie zu geben“. Gut betuchte Promis wie Unternehmer Warren Buffett, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Star Wars-Eršfinder George Lucas machen bei dieser Aktion mit. Wohlgemerkt sind Spenden steuerlich absetzbar, doch nicht jeder Vielverdiener hat das Bedürfnis, der Gesellschaft etwas von seinem Reichtum abzugeben und die, die es tun, tun es aus unterschiedlichsten Motiven.

VOM GEBEN (UND NEHMEN)
Die Beweggründe, warum Menschen Geld spenden oder sich auf andere Art sozial engagieren sind vielfältig. Manche waren selbst einmal betroffen und wollen aus Dankbarkeit, nicht mehr Not leidend zu sein, etwas an Benachteiligte zurückgeben, andere helfen aus reiner Nächstenliebe und aus Mitgefühl, manch einer tut es aus politischen Gründen oder zur Imagepžege, einige vielleicht sogar, um ihr Gewissen zu erleichtern oder aufgrund von Steuervorteilen. Wäre das moralisch vertretbar und was hat es eigentlich mit dem „gut sein“ auf sich? Wir haben bei der Wiener Philosophin Dr. Lisz Hirn nachgefragt ...

betterlife: Sehr verehrte Frau Dr. Hirn, die Schere zwischen „Arm“ und „Reich“ wird immer größer, die Pandemie hat diese Tatsache verstärkt. Dieses Ungleichgewicht verändert die gesamte Gesellschaft auch ideologisch. Was bewirkt diese Kluft innerhalb der Gesellschaft Ihrer Meinung nach und welche Gefahren tun sich deswegen auf?
DR. LISZ HIRN: Es wird für alle ungemütlicher, nicht nur für die, die immer weniger haben. Je größer die Kluft zwischen Wohlhabenden und fiƒnanziell Benachteiligten, desto größer die insgesamte Gefahr sozialen Unfriedens.

Vermehrt treten Wohlhabende als „Big Spender“ in der Öffentlichkeit auf. Die Beweggründe Gutes zu tun sind vielfältig; welche Motive könnten dahinterstecken?
Jegliche Charity ist zwiespältig. Die „Big Spender“ können leicht geben, die Bedürftigen „müssen“ dankbar sein und „gute Miene“ machen. Man bekämpft damit Symptome, anstatt am problematischen System etwas zu verändern.

Gibt es Ihrer Meinung nach „gute“ und „schlechte“ bzw. „soziale“ und „asoziale“ Menschen?
Die Begriffe „gut – schlecht“ und „sozial – asozial“ würde ich klar unterscheiden wollen. Die einen beziehen sich auf moralische Qualitäten, die anderen auf eine psychologische oder soziologische Deƒnition. Beide setzen voraus, dass man überhaupt „gut“ sein könnte, wenn man es wollte. Dafür braucht es auch Ressourcen und Teilhabe, die nicht jedem zur Verfügung stehen.

Kann man „gut sein“ erlernen?
Hier liegt ein Missverständnis vor. Es geht doch nicht darum, „gut sein“ zu lernen, sondern das „Richtige“ zu tun. Also das, was die Vernunft gebietet. Wer nur etwas tut, um „gut zu sein“ oder „gut zu scheinen“, erfüllt den eigenen moralischen Anspruch nicht.

Im Optimalfall gibt der Mensch, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Das gilt in Beziehungen genauso wie bei sozialem Engagement. Gleichzeitig leben wir in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Kompensieren wir also im Grunde nur ständig unsere Zerrissenheit oder muss das eine das andere nicht ausschließen?
Beim Optimum bin ich vorsichtig. Da wir immer in Beziehungen zueinanderstehen, müssen wir uns auch immer voreinander verantworten. Ich habe den Eindruck, dass die meisten von uns ihren derzeitigen Lebensstandard als selbstverständlich erachten. Das ist er aber nicht! Er basiert auf vielen kleinen und größeren sozialen und ökologischen Ungerechtigkeiten. Frei nach Bertolt Brecht: „Wäre ich nicht arm, wärst du nicht reich.“

Als Expertin für angewandte Philosophie stehen bei Ihnen u. a. die Antworten auf große (und kleine) Fragen des Lebens im Mittelpunkt. Gibt es auch bei Ihnen Zeiten der inneren Unruhe und Unsicherheit? Wie haben Sie dieses Jahr der Pandemie emotional wahrgenommen und bewältigt?
Darauf können Sie wetten! (lacht) Die Sorge für die Zukunft ist doch wesentlich für unsere Existenz. Trotzdem wir in einer hoch optimierten Welt leben, sind und bleiben wir Menschen verletzlich. Das Coronavirus ist eine große Ego-Kränkung und eine enorme Herausforderung für uns alle: gegenwärtig und auch in Hinblick auf die nähere Zukunft. Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat es etliche Gesundheitskrisen gegeben, die uns – mehr oder minder – überrascht haben. Diese könnte eine große Chance für eine nachhaltige Veränderung sein, aber ich bin da eher skeptisch. Trotzdem habe ich versucht, das Leben nicht auf die Zeit danach zu verschieben, sondern auch diese Zeit als Teil meines Lebens und meiner Zukunft zu akzeptieren.

In Ihrem Buch „Wer braucht Superhelden? Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“ gehen Sie u. a. der Frage nach, ob es noch klassische Retter mit Superkräften wie Batman oder Boris Johnson braucht, um zu überleben, oder ob vielleicht sogar diese „starken Männer“ unser Untergang sind. Ihr Erfolgsrezept für eine bessere Welt? Wer rettet uns wirklich?
Niemand. Aber das Bedürfnis nach den „starken Männern“, nach „Helden“ und „Rettern“ verrät viel über uns. In der Idee des Superhelden spiegelt sich beispielsweise nicht nur die alte Sehnsucht des Menschen nach dem Optimum, nach Unsterblichkeit, Unverletzlichkeit, nach Allmacht, sondern auch danach, seinen eigenen technischen Maschinen zumindest kräftemäßig überlegen zu sein wider. Es spiegelt aber auch unseren Wunsch nach Superkräften wider, der gerade unserem Lebensstil geschuldet ist. Diesen Lebensstil dauerhaft zu verändern, wird nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise notwendig sein.


Text & Interview: Alicia Weyrich
Foto: Harald Eisenberger

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