Leben nach Maß

ELEGANT. Nicolas Venturini mit obligatorischem Maßband um den Hals in seinem Geschäft in der Wiener City. „Was ein gutes Hemd ausmacht? Ganz einfach: dass es passt.“

Hemden aus dem Hause Venturini zählen zum Elegantesten, das man als modebewusster Mensch tragen kann. Bei der Qualität kennt der stolze Handwerker keine Kompromisse.

Fühlen Sie!„, sagt Nicolas Venturini mit ehrfürchtiger Stimme. „Bitte berühren Sie diese prachtvollen Stoffe. Wie fein sie auf der Haut liegen! Diese Hemden streicheln ihren Träger den ganzen Tag.“ Auch nach 30 Jahren im Geschäft spricht der Wiener Hemdenmacher immer noch voller Liebe und Hingabe über seine Arbeit. „Ich bin ein demütiger Handwerker, ein Diener meiner Kunden. Und sie dürfen wunderschöne Qualität von mir erwarten.

In den 60ern hat Vater Gino Venturini, ein gebürtiger Italiener, das Geschäft des traditionsreichen „Hemden Herzog“ in der Wiener Innenstadt übernommen. Der heute 50-jährige Nicolas Venturini ist während des WU-Studiums behutsam in die elegante Modewelt hineingewachsen; 2009 hat er den Familienbetrieb offiziell übernommen. „Gewand schützt mich nicht nur vor Nässe, Kälte und Schmutz. Es stiftet Identität.

SCHÖN IST, WAS GEFÄLLT

Obwohl er selbst stets korrekt gekleidet ist, will der zweifache Vater über andere Menschen nicht urteilen: „Das steht mir nicht zu. Ich sage immer: Mode ist, was einem selbst gefällt. Mir ist aber wichtig, meine Garderobe zu pflegen.“ Entscheidend seien ohnehin die inneren Werte. „Ich führe ein Leben nach Maß und versuche, ein guter, ehrlicher Mensch zu sein.“ 

Während der 2014 verstorbene Vater, zu dem Nicolas Venturini ein ausgesprochen inniges Verhältnis hatte, in den 80ern und 90ern regelmäßig in Berichten über die Wiener High-Society auftauchte, legt der heutige Firmenchef keinerlei Wert auf Werbung mit großen Namen: „Ich spreche nicht über unsere Kunden. Das wäre unelegant. Aber einen Traum habe ich: Ich möchte einmal ein Hemd für einen US-Präsidenten herstellen.

EMOTION IM SCHNITT

Im Geschäft in der Spiegelgasse, wenige Schritte vom Stephansdom entfernt, nimmt Venturini Maß. Produziert werden die Hemden – aber auch Damen-blusen, Blusenkleider und Tunikas – in einem beschaulichen Dorf im Wein-viertel. In einem ehemaligen Filmstudio in Kleinrötz schneiden, nähen, sticken und bügeln 17 Mitarbeiterinnen – umgeben von rund 500 exquisiten Vollzwirnstoffen aus italienischen, englischen und Schweizer Webereien. 

Im hinteren Bereich der Werkstatt zieren hunderte gelbe Aktenordner die Regale vom Boden bis zur Decke. In ihnen sind – alphabetisch geordnet – um die 30.000 individuelle Schnitte von Maßhemden abgelegt: „Ich stelle -meinen Kunden viele Fragen, etwa, bei welchen Gelegenheiten sie das Hemd tragen werden. Ich achte aber auch auf ihre Haltung, ihre Bewegungen. Und schaue mir ihren Hals und ihre Schultern genau an. Dann zeichne ich den Schnitt. Meine ganze Erfahrung, meine ganze Emotion liegt in der Spitze eines Bleistiftes, den ich über ein Blatt Papier ziehe.

Das Wichtigste an einem Hemd, sagt Venturini, ist natürlich der Kragen. Gerade jetzt, wo immer mehr Männer auf die Krawatte verzichten, zieht er die Blicke auf sich. „Wie mein Vater schon so schön gesagt hat: Der Kragen gibt dem Gesicht einen Rahmen.

KEINE KOMPROMISSE

Mehr als bloß ein Detail sind die -Knöpfe. Sie müssen bei Venturini aus Perlmutt sein und werden traditionell in einer Manufaktur im Waldviertel aus Muscheln gedreht, die mindestens 16 Jahre Zeit hatten zu wachsen. „Weißes Licht reflektiert sich darin in allen Spektralfarben. Diese Knöpfe sind ein Wunder der Natur.

Diese Perlmuttknöpfe aus Kosten-gründen gegen – weitaus billigere – Exemplare aus Nylon zu tauschen, komme auf keinen Fall infrage, sagt Nicolas Venturini. Und erinnert sich mit Schrecken an eine Begegnung mit neuartigen Bedürfnissen: „Ein Kunde hat mich höflich darauf aufmerksam gemacht, dass er als Veganer auf andere Knöpfe bestehen muss. Ich gebe zu, im ersten Moment war ich sprachlos.

Trotzdem blickt Nicolas Venturini der Zukunft hoffnungsfroh entgegen. Es wird immer Menschen geben, die Qualität zu schätzen wissen – und die sich auch von ihrem Hemd streicheln lassen wollen.

VENTURINI. Nicolas’ Vater Gino Venturini, nach dem die Marke benannt bleibt, hat das Geschäft 1962 übernommen und zu Wiens erster Adresse für Maßhemden ausgebaut. Feine Hemden werden hier bereits seit 1906 verkauft. www.venturini.at

Text: Hannes Kropik
Fotos: Stefan Diesner

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